Totally Rad «Die zu-unglaublich-für-Worte Reise»

Zu Beginn der 90er erschien in Japan ein Spiel namens Magic John. Der bunte Plattformer mit knuffigen Anime-Figuren stammt von der japanischen Spieleschmide Jaleco und wurde am 28. September 1990 veröffentlicht. Das Spiel sollte auch in westlichen Gefilden erscheinen, allerdings war wohl das Original zu putzig und man entschied dem ganzen einen „cooleren“ Touch zu geben. So wich der herzige Hauptdarsteller John dem hippen Surfer Jake, während der weibliche Charakter zu seiner Freundin Alison, ausgestattet mit neckischem Kurzhaarschnitt, wurde.



Plattform: NES
Genre: Action/Jump n’Run
Hersteller: Aicom
Publisher: Jaleco
Spieler: 1
Erschienen: 1990 (Japan, Europa), 1991 (USA)

 


Die Verpackung

Von kräftigem Gelb umrandet linst ein grünes Reptil-artiges Wesen mit rotem Irokesen-Haarschnitt aus dem Zentrum. Mit seinen Krallen ritzt es den gelben Rahmen ein, während über ihm der Totally RAD Schriftzug (mit individueller Schrift pro Wort) prangt. Um wen oder was es sich bei dem Charakter handelt ist nicht wirklich klar, zumindest optisch erinnert es an den ersten Boss. Immerhin versteht es das Artwork gekonnt möglichst wenig über das Spiel zu verraten. Versteckt sich hinter Totally Rad ein Puzzler? Oder ein RPG? Oder doch eher ein Shooter? Das Bild lässt keine Schlüsse zu. Aber wenden wir die Verpackung mal.

Rückseite: «Die zu-unglaublich-für-Worte Reise in den Untergrund von Kalifornien» wird hier ausführlich beworben, schon beinahe wie in einem Urlaubskatalog. Sechs Screenshots umrahmt mit Ausrufen wie «Hoppla!», «Ha!», «Schrecklich!», «Hilfe!» und «Toll!» präsentieren einige Sehenswürdigkeiten des Trips. Nur der Text zum untersten Bild fordert «Mach es wie ein Adler» – und zeigt dabei auch direkt ein Screenshot aus dem finalen Bosskampf. Da freut sich der mögliche Käufer, dass er schon das Finale sieht, bevor er das Spiel überhaupt erworben hat. Vielleicht entschädigt ja die «Total unglaubliche Geschichte», die in «12 Runden in 5 Stufen» abläuft. Oder zumindest die «10 Superzaubersprüche» und die «gespaltene Persönlichkeit», welche übrigens ebenfalls Bestandteil der 10 Zaubersprüche sind. Falls dies immer noch nicht ausreicht, zieht ja eventuell der Zusatz «Total schreckliche Monster!».


Die Spielanleitung

Wenig Überraschend ziert das oben beschriebene Reptil auch die Frontseite der Anleitung. Einmal aufgeblättert wird bereits in Grossbuchstaben gratuliert: «TOLL, DU HAST DAS INHALTSVERZEICHNIS GEFUNDEN!» Ja… danke. Schön, wie auch in der Übersicht direkt mal auf die wichtigen Themen hingewiesen wird. So wird für Seite 9, mit den Hinweisen wie man ein Modul einlegt und startet, empfohlen: «Diesen Teil kannst Du auslassen und Dir stattdessen eine Pizza oder etwas anderes zu essen kommen lassen». Okay. Auch die Story – «Die Totally Rad Geschichte eines beispiellos gewöhnlichen Burschen, eines sehr rechtschaffenden Mädchens und eines knorrigen alten Magiers, der in einer ziemlich grossen Höhle in der San Andreas Spalte lebt» -wird einem in feinstem Surfer Slang präsentiert, wie ihr unten stehendem Ausschnitt entnehmen könnt. Immerhin wird der Text mit einer Bilderpause aufgelockert. Nicht, dass das abgebildete Flugzeug auch nur irgendwas im Entferntesten mit dem Spiel zu tun hätte – aber immerhin eine Bilderpause.


Das Spiel

Kaum gestartet, wird sogleich die Geschichte von den Protagonisten selber erzählt, die nach dem Titelbild noch weiter gesponnen wird und auch zwischen den einzelnen Welten stets voranschreitet. Daher lassen wir am besten einfach mal die Levelintros sprechen lassen, was sich hier so abspielt:

In der Haut von Jake rennt ihr nun durch die verschiedenen Welten, hopst über Plattformen und bekämpft dabei verschiedene Gegner. Neben eurem aufladbaren Standardangriff kann Jake auch auf das bereits angesprochene Arsenal an Zaubersprüchen zugreifen, welche an der Magieleiste des Protagonisten zehren. Nebst halbem oder komplettem Auffüllen der Energieleiste, kurzer Unverwundbarkeit oder Einfrieren der Gegner beherrscht Jake auch noch weitere interessante Magiephrasen. So kann er verschiedene Elementangriffe lancieren, welche alle Gegner im Bild attackieren. Highlight sind aber die 3 Verwandlungsmöglichkeiten in einen Adler, einen Fisch und einen Löwen. Ob jetzt das auch optisch so hinkommt, darüber kann diskutiert werden, aber zumindest spielerisch profitiert Jake von den 3 Formen. Als Adler kann er durch die Luft fliegen und Gegner mit seinen Geschossen attackieren, als Fisch schwimmt er locker flockig durch das Wasser und kann Gegner mit seiner Waffe auch aus der Distanz angreifen und in Löwen-Form wird Jake während des Sprungs unverwundbar und kann eine starke Attacke ausführen – wenn auch nur in direkter Nähe des Gegners.

Somit also reichlich Unterstützung in den «12 Runden in 5 Stufen», welche vom Jahrmarkt, über ein Zirkuszelt, die Kanalisation und einen See bis zu einer Stadt im Inneren der Erde führt. Nebst dem Leveldesign werden auch die Gegner natürlich mit stetem Voranschreiten immer stärker. Die imposanten Endbosse am Ende einer «Stufe» sind meist recht harmlos, fieser ist da so mancher Zwischenboss, der nicht ohne die richtige Taktik besiegt werden kann. Als etwas frustrierend stellt sich die Tatsache heraus, dass nach jedem Lebensverlust der Abschnitt komplett von vorne begonnen werden muss. Restartpoints gibt es keine. Neben den 3 Leben zu Beginn könnt ihr euch durch das Besiegen von 100 Gegnern jeweils einen weiteren Versuch erspielen.

Aus technischer Sicht wissen die Hintergründe am meisten zu überzeugen, teils mit mehrstufigem Scrolling. Musikalisch wird solide Kost geboten, für eine Soundtrack-CD dürfte es aber wohl kaum reichen. An der Steuerung gibt es auch relativ wenig auszusetzen, diese erfüllt ihren Zweck wie man es erwarten kann.


Seppatoni & Totally Rad

Als ich das Spiel erstmals in unten abgebildetem Review der Club Nintendo-Ausgabe 03/1992 entdeckte, schenkte ich ihm noch wenig Beachtung. Erst als ich es gegen Ende der NES-Ära in einer Grabbelkiste in einer Filiale der heute nicht mehr existierenden Rediffusion erspähte, schlug ich für CHF 29.- zu. Wirkliche Begeisterung konnte mir das Spiel nie entlocken, aber für solide Unterhaltung war dennoch gesorgt. Die Wechsel der unterschiedlichen Formen sorgen für Abwechslung und die grossen Obermotze für eindrückliche Bossfights. Trotz etlicher Anläufe gelang es mir nie das Spiel komplett durchzuspielen, spätestens in der vorletzten Stage war jeweils Endstation, den finalen Boss sah ich nur auf der Rückseite der Verpackung. Jahre später grub ich das Modul für einen Tests für’s NES Center wieder aus und vergab eine gute 7/10 als Wertung.

Und als ich vor kurzem in einer Kiste voller NES-Titel zur Inspiration dieses Beitrags kramte und dabei zufällig auf Totally Rad stiess, war dies Grund genug sich mal wieder etwas vertiefter diesem Spiel zu widmen. Nachdem ich zu Beginn bereits in den ersten beiden Welten kolossal gescheitert war, führte mich der dritte Anlauf tatsächlich bis in die letzte Welt, wo ich den nervigen Alien-Zwischenboss mit Ach und Krach bewältigte und mit meinem letzten Leben tatsächlich den Endboss erreichte und ihn locker flockig besiegte. Selten habe ich einen derart einfachen Endgegner vor mir gehabt. Aber was soll’s, nach über 20 Jahren den Titel endlich durchgespielt und auch endlich die Auflösung der «total krassen» Story erfahren.