Spätestens seit seinem Auftritt im Film The King of Kong: A Fistful of Quarters aus dem Jahre 2007 dürfte Billy Mitchell einem grossen Teil der Videospieler bekannt sein. Der mehrfache Weltrekordhalter, Sossenhersteller und Video Game Player of the Century ist einer der bekanntesten Videospieler, den die Branche je hervorgebracht hat. Eine ebenso schillernde wie umstrittene Persönlichkeit. Grund genug, einen Blick auf die Karriere von Billy Mitchell zu werfen.
Erster Kontakt mit Videospielen
Am 16. Juli 1965 wird William James Mitchell Jr. in Springfield, Massachusetts, geboren und wuchs im Süden Floridas auf, wo seine Eltern ein Restaurant betrieben. Bis zu seinem 16. Lebensjahr interessierte sich Mitchell nicht speziell für Videospiele, seine Freizeit widmete er viel mehr den Flipperautomaten. Den neumodischen Videospielen stand er bis dahin eher skeptisch gegenüber. Bis ihm an einem Tag in den frühen Achtzigern auffiel, dass sich um einen bestimmten Arcade-Automaten stets eine grössere Menschenmenge versammelte und gebannt das Geschehen auf dem Bildschirm beobachtete. Fortan war auch Billy Mitchells Neugier geweckt. Der Name des Automaten? Donkey Kong!
Es dauerte nur wenige Wochen bis er feststellte, dass er ein aussergewöhnliches Talent für Spiele dieser Art hat. Neben seiner ausgeprägten Hand-Augen-Koordination und Reaktionsschnelligkeit besass er vor allem die Fähigkeit innert weniger Augenblicke die Muster des Geschehens auf dem Bildschirm zu erkennen. Im Restaurant seiner Eltern standen ebenfalls verschiedene Videospielautomaten. Mit seiner Zockerei trieb Billy seinen Vater schier in den Wahnsinn. Mit einem Quarter spielte er teils stundenlang an einem Gerät und blockierte so weitere mögliche Einnahmen. Weiter beschrieb Billy Mitchell Senior seinen Sprössling als zuverlässigen Menschen, der nie einen Schul- oder Arbeitstag schwänzte und auch sportlich sehr aktiv war. Er hätte ihm eine grosse Karriere als Baseball-Spieler zugetraut, wenn er nicht den Videospielen verfallen wäre.
Geburt einer Institution
Der Siegeszug der noch immer jungen Videospiel-Branche war nicht aufzuhalten, immer mehr Spieler gingen an den Automaten auf Punktejagt um neue Highscores zu erringen. Allerdings wusste niemand so wirklich, was denn nun überhaupt die Rekorde sind, da es schlicht keinen gab, welcher diese verfolgte. Dies rief Walter Day auf den Plan, Inhaber einer Arcade namens „The Twin Galaxies“ in Iowa.

Walter Day (mit Krawatte) und links vor ihm der junge Billy Mitchell (Quelle: jedionston.wordpress.com)
Das Time-Magazin berichtete über einen Spieler, der in Defender in 23 Stunden eine Punktzahl von 16 Millionen erzielte. Fortan stürmten Besucher aller Art seine Arcade und wollten den Defender-Score knacken. Im Februar 1982 gelang es tatsächlich jemanden, diesen Wert zu übertreffen. Daraufhin kontaktierte Day den Hersteller Williams und fragte nach, ob es sich wirklich um die bislang höchste erzielte Punktzahl handelt. Doch die Firma entgegnete ihm, dass sie keine Statistiken über Punktzahlen führten. Walter Day entschied sich, dass Twin Galaxies fortan Buch über die erzielten Rekorde führen würden und wurden so innert kurzer Zeit zur Anlaufstelle für erzielte Videospielrekorde weltweit.
Mitchells Rekordjagd beginnt
Im folgenden Sommer erhielt Day einen Anruf von Billy Mitchell, der in einem Magazin namens Joystick gelesen hatte, dass ein Spieler angeblich 1,4 Millionen Punkte in Donkey Kong erzielt habe. Mitchell sagte Day, dass dieser Wert frei erfunden und der angebliche Rekordhalter ein Schwindler sei. Mitchell – schon damals sehr überzeugt von sich – war der Ansicht, dass es keinen besseren als ihn geben könne.

Mitchell (beim Centipede-Gerät) posiert mit anderen Spielern ausserhalb der Twin Galaxies Arcade für das Life Magazin (Quelle: 8-bitcentral.com)
Day gab ihm die Telefonnummer des bisherigen Rekordhalters. Mitchell stellte im Gespräch schnell fest, dass der Mann am anderen Ende der Leitung ein Hochstapler war und meldete dies Walter Day. Einige Wochen später gab es der Betroffene auch selber zu. Mit seinem Highscore von 886’900 Punkten stellte Mitchell zugleich den ersten Weltrekord für Donkey Kong auf, der fast 25 Jahre lang unangetastet bleiben sollte. Es folgten weitere Rekorde für Donkey Kong Jr., Burger Time, Centipede und Ms. Pac-Man.
Die Jagd nach dem perfekten Spiel
Seinen zweifellos grössten Erfolg feierte er jedoch mit Pac-Man. Nur wenige Monate, nachdem er sich dem Automaten zuwendete, löste er bereits Darren Olsen als Rekordhalter ab und erreichte auch den sogenannten Split-Screen. Dabei handelt es sich um den 256. Level, der zur einen Hälfte als normales Labyrinth und zur anderen als ein Gewirr aus verschiedenen Symbolen und Grafiken dargestellt wird. Dies aus dem Grund, dass entsprechende Daten und Speicherkapazität fehlten und die Entwickler niemals damit gerechnet hätten, dass jemand überhaupt so weit kommen würde. Zusammen mit Chris Ayra, dem aus Bill Mitchells Sicht einzigen Pac-Man-Spieler, der mit ihm auf Augenhöhe war, analysierte er das Spiel – insbesondere den Split Screen – im Detail, mit dem Ziel, die höchstmögliche Punktzahl zu ermitteln, dem sogenannten «Perfect Game».
Dieses kommt zustande, wenn der Spieler mit einem Leben in allen 255 regulären Welten alle Bonus-Items sammelt und mit jeder Power-Pellet (jeweils 4 pro Stage) alle 4 Geister fängt. Dazu gibt es im Splitscreen auf der Chaos-Seite jeweils 9 versteckte Dots, die ebenfalls gefunden werden müssen. Da das Level unschaffbar war, mussten dort jeweils die Leben geopfert und jedes Mal die 9 wieder erscheinenden Dots gegessen werden, was jeweils 90 Punkte einbrachte. Somit kamen die beiden auf eine berechnete Maximalpunktzahl von 3’333’360. Diese Punktzahl zu erreichen würde schätzungsweise 4-6 Stunden dauern und 29’000 perfekt ausgeführte Richtungswechsel jeweils innerhalb einer Sechzigstel-Sekunde beanspruchen – eine kleine Verzögerung, und der ganze eingespielte Ablauf ist dahin und endet so gut wie immer mit dem Tod. Da es in den 80ern aber keine anderen Spieler gab, die auch nur annähernd an dieses «Perfect Game» herankamen, beschäftigten sich Mitchell und Ayra nicht mehr weiter mit Pac-Man.
Die Jagd nach dem perfekten Spiel
15 Jahre später, 1998, meldeten sich zwei Kanadier namens Rick Fothergill und Neil Chapman bei Twin Galaxies, dass sie bei Pac-Man den Splitscreen erreicht hätten und kurz davor stünden das «Perfect Game» zu erreichen. Billy Mitchell erfuhr davon und meldete sich bei den beiden, da er – wie Jahre zuvor bei Donkey Kong – ihren Aussagen nicht glaubte. Tatsächlich fand er im Gespräch heraus, das die beiden das Spiel, ähnlich wie er mit Ayra, bis ins Detail analysiert hatten und bestens Bescheid wussten. Mitchell bereute es nachträglich, nicht mehr aus seinem frühzeitig bekannten Wissen gemacht zu haben und wollte sich von niemandem einfach so schlagen lassen.
Nach über 10 Jahren setzte er sich erstmals wieder an einen Pac-Man-Automaten und trainierte für das Rennen um die perfekte Punktzahl. Zu dieser Zeit begann Mitchell auch seine typische Stars-and-Stripes-Krawatte zu tragen, als Antwort auf Rick Fothergill, der sich den Nickname «Captain Canada» gab und eine Kanadische Flagge als Umhang trug. Nach mehreren gescheiterten Anläufen im Rennen um das «Perfect Game» war zu hören, dass die Kanadier um ein Haar den Rekord geholt hätten – sie scheiterten lediglich an einem verlorenen Leben.
Das versprochene «Perfect Game»
Es kam das Wochenende vom 4. Juli 1999, als Mitchell in New Hampshire antrat und den Medien einen perfektes Pac-Man-Game versprach. Den ersten Anlauf nahm er am Morgen des 2. Juli. Als er bereits über eine Million Punkte eingefahren hatte, stolperte ein Kind über das Stromkabel des Automaten und beendete die Partie abrupt. Verärgert von dem Zwischenfall stürzte er sich erneut in weitere Versuche, blieb aber bis in die Nacht erfolglos.
Am nächsten Morgen setzte er sich gleich wieder an den Automaten. Nach knapp 6 Stunden an dem Gerät erreichte er den Split Screen, sammelte mit jedem Leben die versteckten Punkte und versetzte Pac-Man in den Rest-Modus (nach einem bestimmten Vorgehen kann Pac-Man in einer Ecke bleiben, ohne dass er von den Gegnern angegriffen wird – Mitchell nutzte dies jeweils für Toilettengänge oder Interviews mit Medienleuten) und rief Walter Day an um ihm mitzuteilen, dass er es endlich geschafft habe – das erste «Perfect Game» bei Pac-Man! Und dazu sagte er ihm, dass er das verdammte Game nun nie wieder spielen müsse. Daraufhin marschierte er über die Strasse und holte sich ein Sandwich, nachdem er 2 Tage nichts gegessen hatte.
Nach seinem Erfolg bot er demjenigen, welcher innerhalb der nächsten Monate den Split-Screen-Level bei Pac-Man erfolgreich abschliessen könne, eine Belohnung von 100’000 US$. Aber der Fall trat nicht ein. Es folgte eine Einladung zu Namco in Japan, wo er für seine Leistung geehrt wurde und feststelle, dass die Erfinder und Programmierer Pac-Man nicht annähernd mit dem Wissen von Billy Mitchell mithalten konnten, und er ihnen unter anderem erklärte, wie sich die Geister genau verhalten.
Das Leben nach dem Perfect Game
Heute ist Billy Mitchell erfolgreicher Geschäftsmann. Er besitzt nicht nur die Restaurantkette «Rickey’s World Famous Restaurants», sondern produziert unter dem Label «Rickey’s World Famous Sauces» auch verschiedene scharfe Sossen. Dazu trat er immer wieder für verschiedene Filme vor die Kamera, allen voran natürlich die Dokumentationen «The King of Kong» und «The King of Arcades».
Privat ist er mit der Lehrerin Evelyn verheiratet, zusammen haben sie zwei Töchter und einen Sohn. Letzterer hat den Rufnamen Little Billy und ist ein begeisterter Videospieler. Wie beim Vater hat auch bei ihm alles mit Donkey Kong angefangen. Der Sprössling verbrachte viel Zeit am Automaten und schaffte er bis in den 4. Level. Mitchell sagte zur seiner Frau, er würde wohl mindestens ein Jahr benötigen, um diesen komplexen Abschnitt zu schaffen. Eine Woche später war es jedoch bereits soweit. Und Little Billy war zu diesem Zeitpunkt gerade mal 3 Jahre alt.
Hat Mitchell geschummelt?
2017 geriet Billy Mitchell erneut in die Schlagzeilen, als ihm vorgeworfen wurde, er hätte bei zweien seiner Rekorde geschummelt, woraufhin bei Twin Galaxies all seine Einträge entfernt wurden. Mitchell leitete daraufhin rechtliche Schritte ein. Das amerikanische Videospielmagazin EGM hat die Geschichte in einem ausführlichen Bericht detailliert aufgearbeitet und dabei auch festgestellt, dass es einige fragwürdige Punkte in den ganzen Geschehnissen rund um die Verbannung von Billy Mitchell gibt. Nach jahrelangem Hickhack und eingehenden Analysen der Aufzeichnungen der Rekord-Performances durch einen unabhängigen Experten wurde, gab Twin Galaxies Anfang 2024 in einem Statement bekannt, dass die Rekorde wieder anerkannt werden. Das Guinness Buch der Rekorde hatte bereits 2020 entschieden Billy Mitchells Leistungen wieder mit aufzunehmen.
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Nebst der Klage gegen Twin Galaxies, leitete Mitchell auch rechtliche Schritte gegen verschiedene Personen ein, welche ihm Betrug unterstellten. Dabei auch der Youtuber Karl Jobst, welcher ihm 2021 zusätzlich noch eine indirekte Mitschuld an einem Suizid eines anderen YouTubers unterstellte. Jobst wurde im April 2025 wegen Verleumdung zu einer Zahlung von Schadenersatz in der Höhe von $ 350’000 verurteilt.
Billy Mitchell heute
Billy Mitchell selber hat sich weitgehend aus der kompetitiven Videospiel-Welt zurückgezogen, ist jedoch immer noch gern gesehener Gast an Videospiel-Veranstaltungen. Durch seinen Sohn wurde er auf Twitch aufmerksam, wo er heute gelegentlich sein nach wie vor vorhandenes Talent für die Arcade-Klassiker demonstriert. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des «Perfect Games» in Pac-Man legte er auch mal wieder Hand an den Pac-Man-Automaten und legte prompt ein weiteres Mal einen perfekten Lauf hin. Daneben engagiert er sich auch für wohltätige Zwecke wie Extra Life, das durch Videospielveranstaltungen Spenden für pflegebedürftige Kinder sammelt.
Seit kurzem ist er seit auch wieder auf der grossen Leinwand zu sehen. In der Doku „Arcades and Love Songs: The Ballad of Walter Day“, über das Leben von Mitchells langjährigem Wegbegleiter, gibt er einige Einblick über ihre jahrzehntelange Freundschaft und gemeinsame Erlebnisse.
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