Rudra no Hihou (ルドラの秘宝) Squaresofts letztes SNES-RPG

Für viele Videospieler ist die 16-Bit-Zeit gleichbedeutend mit der goldenen Ära der RPGs. Einen grossen Anteil daran hat Squaresoft, welches mit Titeln wie Secret of Mana, Final Fantasy oder Chrono Trigger herausragende Genrevertreter beisteuerte. 1996, im Spätherbst des SNES-Lebenszyklus, veröffentlichten die Japaner exklusiv in ihrem Heimatland ihre letzte Eigenproduktion für das Super Nintendo: Rudora no Hihou (ルドラの秘宝). Es sollte für 7 Jahre der letzte Titel von Square(soft) für eine Nintendo-Heimkonsole sein. Doch für den Abschluss dieser Golden Era zeigten sich die RPG-Profis nochmals von ihrer besten Seite.


 

Plattform: SNES
Genre: Rollenspiel
Hersteller: Squaresoft
Publisher: Squaresoft
Spieler: 1
Erschienen: 5. April 1996 (Japan)

 

 


Die Verpackung

Die Schachtel des Super-Famicom-Titels fällt wie üblich etwas kleiner aus als die westlichen Varianten. Die grandiose Frontseite wurde vom japanischen Charakterdesigner Keita Amemiya gestaltet. Vier Protagonisten mit ihren Waffen und Rüstungen wurden weit über der Erdoberfläche in Szene gesetzt. Aus dem Himmel blickt die Zerstörung in Form eines finsteren Augenpaars auf den Planeten herab, während hinter dem Schriftzug vier mysteriöse Steinskulpturen in den Himmel ragen.

Auf der Rückseite sind hinter einigen Zeilen japanischer Schriftzeichen weitere stilvoll gestaltete Charaktere abgebildet. Rechts daneben sorgen fünf Screenshots für einen kleinen Einblick in die Welt von Rudra No Hihoui


Die Spielanleitung

Mangels Japanischkenntnissen kann ich leider nicht viel zum inhaltlichen Teil der Anleitung sagen. Allerdings hindert dies nicht daran, die herrlichen Artworks zu geniessen.


Das Spiel

Rudra No Hihou, meist übersetzt als Treasure of the Rudras, spielt in einer Welt mit einem wiederkehrenden Zyklus. Alle 4’000 Jahre wird ein Rudra zum Leben erweckt, welcher nahezu die gesamte existierende Bevölkerung auslöscht und anschliessend seine eigene Rasse den Planeten bevölkern lässt. Im Laufe der letzten 20’000 Jahre wurden Zivilisationen wie die Danans, Meermenschen, Reptilien oder Riesen erschaffen, nur um am Ende des Zyklus wieder zu verschwinden. Und die Menschen, welche die letzten 3999 Jahre die Welt bewohnten, drohen nun dasselbe Schicksal zu erleiden. 15 Tage verbleiben der Menschheit noch, bevor ein neuer Rudra erscheint. Doch die Menschheit ist nicht gewillt, sich kampflos dem Schicksal zu ergeben.

Im Zentrum der Ereignisse in diesen 15 Tagen stehen 3 Hauptprotagonisten:

  • Sion: Ein Söldner im Dienst von Schloss Cryunne. Er lebt im Städchen Vad zusammen mit seinem Bruder Doug und strebt danach, der stärkste Krieger der Welt zu werden.
  • Riza: Eine junge Frau, die sich auf die Suche nach ihrer Mutter macht und in deren Fussstapfen tritt: sie möchte die Welt von der ganzen Umweltverschmutzung zu befreien und zu einem besseren Ort zu machen,
  • Surlent: Ein Archäologe, der eng mit Dr. Muench zusammenarbeitet und ein kürzlich gefundenes Rudra-Fossil, genannt Lago Stein, nach möglichen Informationen zur bevorstehende Apokalypse untersucht.

Viel mehr möchte ich aus Spoiler-Gründen an dieser Stelle auch nicht verraten. Der Clou an der Sache: Jeder dieser Charaktere erlebt die Zeitspanne von 15 Tagen auf individuelle Art und Weise in einem eigenen Szenario. Mit ihren eigenen Zielen vor Augen bereisen sie die verschiedenen Kontinente, finden neue Gefährten und bestreiten dabei so manche Schlacht. Der Spieler kann jederzeit zwischen den 3 Stories wechseln und sich dem dortigen Handlungsstrang widmen. Ob man mit einem Charakter die 15 Tage am Stück durchspielt oder das Abenteuer häppchenweise mit der jeweiligen Party vorantreibt, ist einem selbst überlassen.

Die Reise führt euch in verschiedene Dörfer und Städte, durchstreift malerische Wälder und kämpft euch durch Ruinen vergangener Zivilisationen. Doch auch hier wartet das Spiel zusätzlich noch mit einigen überraschenden Schauplätzen auf. In Dungeons und auch auf der Weltkarte geratet ihr immer mal wieder in Zufallskämpfe, welche ihr in klassischen rundenbasierten Schlachten bestreitet.

Hier kommt auch die Ausrüstung der Recken zum Zug. Zum einen gibt es natürlich die Waffe für physische Angriffe. Je nach Charakter stehen eine Vielzahl an Angriffsinstrumenten zur Wahl: Die Palette reicht von Schwertern über Peitschen und Armbrüste bis zu Gewehren. Teils lassen sich dadurch auch mehrere Gegner auf einmal attackieren. Einen grossen Einfluss, gerade auf spätere Kämpfe, haben auch die Elemente. Viele Waffen verfügen über bestimmte Elementkräfte und sind damit besonders wirksam gegen Gegnertypen eines gegensätzlichen Elementes – und natürlich auch weniger effektiv bei anderen. Selbiges trifft auch auf die Rüstung zu: Mit der richtigen Elementabwehr macht ihr dem Widersacher das Leben schwer, verfügt der Bösewicht jedoch über den passenden Gegenpart, kann er euch leicht umhauen.

Selbstverständlich darf auch in Rudra no Hihou auf ein Magiesystem vertraut werden. Allerdings eines, das als äusserst innovativ bezeichnet werden darf. Im Gegensatz zu anderen Genrevertretern könnt ihr die magischen Fähigkeiten nicht einfach antrainieren oder erwerben. Um die Mantras, so werden die Zauber genannt, nutzen zu können, müsst ihr die entsprechenden Zaubersprüche lernen und anwenden. Ein paar kennen die Charaktere bereits zu Beginn, das Repertoire kann jedoch laufend erweitert werden. In Dörfern und Städten trefft ihr immer mal wieder Leute, die euch neue Sprüche beibringen. Auch auf Böden von Schatzkisten findet ihr immer wieder (unvollständige) hinterlassene Hinweise. Eine weitere sehr gute Quelle für neue Mantras sind auch eure Gegner: Attackieren sie euch mit einem Zauberangriff, merkt euch den Spruch, tragt ihn in eure Liste ein und nutzt ihn fortan selber.

Doch das ist noch nicht alles: Mantras können um bestimmte Präfixe und Suffixe (die ihr ebenfalls von anderen Charakteren lernt oder aus eurem Spruchrepertoire ableiten könnt) erweitert werden, und können so noch mächtigere Attacken auslösen oder statt nur einem alle Gegner anvisieren. Dies gilt auch für Heil- und Statusmantras. Doch nicht nur das: Wer kreativ ist und sich austoben möchte, der kann auch selber Buchstabenkombinationen kreieren – irgendein Mantra resultiert immer daraus. Dies ergibt ein Total von fast 308 Milliarden Kombinationsmöglichkeiten! Wie bei der Ausrüstung gilt auch bei den Mantras dasselbe Stärke/Schwächen-Prinzip in Bezug auf die Elemente.

Technisch weiss Rudra no Hihou auf ganzer Linie zu überzeugen. Als später SNES-Titel schafft er es nochmals einiges aus der alten Kiste rauszuholen. Die Pixeloptik besticht durch enormen Detailreichtum, überzeugt mit knackigen Farben und grandiosen Animationen. Ganz speziell: Sogar die teils wirklich eindrücklichen Gegner und Bosse sind detailverliebt animiert, atmen und pulsieren, selbst wenn sie ruhen. Jeder einzelne Angriff der Widersache verfügt über eine eigene Animation! Auch die Mantras werden teils spektakulär in Szene gesetzt. Selbst über 25 Jahre danach ein absoluter Augenschmaus und in dieser Hinsicht die Krönung der SNES-RPGs.

Die musikalische Untermalung lässt ebenfalls kaum Wünsche offen. Jede Hauptfigur hat ihr eigenes Theme, das in verschiedenen Varianten auf der Weltkarte, in Zwischensequenzen oder auch in Bosskämpfen zum Einsatz kommt. Hier zwei kleine Müsterchen:

Sion’s Theme auf der Weltkarte (Sword of the Valiant):

https://youtu.be/oILfrBfleDU

Sion’s Theme während Bosskämpfen (Strange Encounters):

https://youtu.be/B9WvmnDt9bQ

Die Kompositionen wissen durchs Band zu überzeugen und tragen einen grossen Teil zur gelungenen Atmosphäre des Spielgeschehens bei. Der komplette Soundtrack wurde in Japan auch auf CD veröffentlicht.

Die Story weiss ebenfalls komplett zu überzeugen. Gerade durch die drei Handelsstränge kommt es immer wieder zu verblüffenden Situationen durch Auswirkungen und Erkenntnissen aus den jeweils anderen Stories. Nach Abschluss der drei Geschichten gipfelt das ganze dann in einem grossen, epochalen Finale. Und wer sich gerne mit optionalen Sidequests beschäftigt, der wird auch hier mit einigen Aufgaben beglückt.

Rudra no Hihou ist ohne Zweifel ein echtes Highlight im RPG-Portfolio des SNES. Dank innovativem Magiesystem und mehrgleisiger Storyführung überrascht es mit Individualität und ist ein Pflichttitel für alle Freunde für JPRGs.


Seppatoni & Rudra No Hihou

Das erste Mal von Rudra no Hihou erfahren habe ich dank der TOTAL!, wo der Titel zusammen mit Bahamut Lagoon und Treasure Hunter G als Teil der letzten Spielewelle von Squaresoft angekündigt wurde. Leider schaffte es der Titel jedoch nie in lokalisierter Form in den Westen. Dank der aufkeimenden Emulation-Szene Ende der 90er hoffte ich immerhin auf diesem Weg irgendwann mal den Titel spielen zu können.

Fantranslations waren damals bereits auf dem Vormarsch und ich beobachtete gespannt, ob auch für Rudra No Hihou ein solches Projekt gestartet werden würde. Doch das im Original zum grossen Teils in Katakana gehaltene Magiesystem erwies sich als Knackpunkt, das Spiel galt dadurch lange als unübersetzbar. Es gab zwar immer mal wieder Anläufe, aber alle Projekte scheiterten irgendwann.

Zwischenzeitlich hatte ich mir dann das Originalmodul zugelegt und auch ein Stück weit gespielt, ohne Japanischkenntnisse jedoch ein schwieriges Unterfangen. Dennoch konnten mich der grandiose Soundtrack und die Hammer-Optik komplett überzeugen. Aber zu vieles blieb im Verborgenen, als dass ich mich weiter durchwursteln konnte.

Viel Zeit verging, bis ich in den Weihnachtsferien 2021 eigentlich mal wieder Final Fantasy III durchzocken wollte. Als ich nach dem Modul suchte, stiess ich zufällig wieder auf Rudra no Hihou. Nach so vielen Jahren sollte es doch hoffentlich gelungen sein das Spiel zu übersetzen. Ein kurzer Blick ins Internet und tatsächlich: Das Spiel gibt es mittlerweile vollständig auf Englisch unter dem Titel Treasure of the Rudras, inklusive komplett angepasstem Mantrasystem. Mein Projekt für die Weihnachtsferien war gefunden.

Als ich startete war ich erstmals baff, als ich feststellte, dass es tatsächlich 3 Handlungsstränge gibt. Das war mir aufgrund der Sprachhürde stets verborgen geblieben. Gestartet hatte ich dann mit Sions Szenario, dessen Beginn ich aus meinen früheren Anläufen zumindest schon etwas kannte. Das Spiel hat mich dann von Anfang an komplett gepackt. Nach 6 gespielten Ingame-Tagen wechselte ich dann zur Story von Riza, ehe ich mich dann Surlent zuwandte. Laufend wurde ich auch immer mehr mit dem Mantra-System vertraut. Ich sprach mit jeder möglich Person, durchsuchte etliche Böden von Schatzkisten und schaute den Monstern bei ihren Mantraangriffen genau auf die Finger, um neue Sprüche ins Repertoire aufnehmen zu können und mich an Erweiterungen zu versuchen. Grosse Klasse, wie dies in der englischen Übersetzung umgesetzt wurde!

Die Stunden flogen nur so dahin, die Story um die Rudras entfaltete sich immer mehr und die Kämpfe wurden zunehmend knackiger. Langweilige Grindingeinlagen und dergleichen waren zu keinem Zeitpunkt nötig, das ganze Spiel ist perfekt ausbalanciert und spielt sich aus einem Guss. Und wenn man mit allen Charakteren die jeweiligen Storylines abgeschlossen hat, wartet noch das grosse Finale auf die Heldentruppe.

Die lange Wartezeit hat sich für mich definitiv gelohnt, Rudra no Hihou ist ein grossartiges RPG das aufgrund seines späten japanexklusiven Releases leider nie die grosse Bekanntheit erlangte, die es definitiv verdient hätte.