Spiele, für die unsere Welt noch nicht reif war Famicom / Famicom Disk System

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an die Rubrik „Spiele, für die unsere Welt noch nicht reif ist“ aus dem Videospielmagazin TOTAL!. Dem Leser wurden diverse (Nintendo 64-)Titel aus aller Welt vorgestellt und anhand verschiedener Kriterien bewertet. Dabei umfasste die Palette die ganze Bandbreite, von skurril anmutenden Experimenten bis hin zu Import-Geheimtipps. Aber auch vor dem 64-Bit-Zeitalter gab es unbekannte Perlen und aussergewöhnliche Spielideen, welche man dem Westen nicht zumuten wollte. Höchste Zeit also um in den vergangenen Generationen nach verborgenen Schätzen und Seltsamkeiten Ausschau zu halten. Den Anfang macht Nintendos erste Konsole, das Famicom.


Bird Week (バード・ウィーク)

Entwickler: Lenar
Publisher: Toshiba EMI
Release:  03.06.1986

Ihr habt euch schon immer gewünscht einmal ein Vogel zu sein? Dann wird dank des Famicom-Moduls Bird Week euer Traum endlich war! Dieser «Vogel-Simulator» erfüllt euch jedoch nicht nur den Traum vom Fliegen, sondern lädt euch auch allerhand Pflichten eines Piepmatz’ auf. In eurem Nest tummelt sich der Nachwuchs, der natürlich ordentlich Hunger hat. Als verantwortungsbewusster Elternteil seid ihr für das Stopfen deren Mäuler verantwortlich. Zum Glück schwirren lauter Schmetterlinge in der Gegend rum, die ihr einfangen und den schreienden Küken als Snack verabreichen müsst. Aber beeilt euch besser, umso länger ihr wartet, desto wilder toben die Kleinen. Haben sie genug gefuttert, so werden sie flügge und verlassen das Nest. Lasst ihr euch aber zu viel Zeit, ereilt sie der Hungertod. Auf eurer Futterjagd müsst ihr euch auch gegen allerhand tierische Gegner wehren: Greifvögel oder umherspringende Mäuse wollen euch ans Gefieder. Abhilfe schaffen beispielsweise Pilze, die am Boden gepflückt und als Wurfgeschosse verwendet werden können. Es gibt jedoch auch Hilfestellung aus dem Tierreich, so hält die Schnecke für einen kurzen Moment die Zeit an, was auch die Futtersuche enorm erleichtert. Optisch wirkt der Titel trotz seines Alters ganz hübsch, akustisch hingegen wird das Vogelleben von ungemein nerviger Hintergrundmusik untermalt.

Fazit: Originelle Vogel-Sim, die mit einigen netten Ideen und klassischem Arcade-Gameplay punkten kann, aber mangels Abwechslung schlussendlich doch recht unspektakulär daherkommt.


Electrician (エレクトリシャン)

Entwickler: Synapse Software
Publisher: Kemco
Release: 26.12.1986

Alarm in den USA: Zahlreiche Städte sind von einem Blackout betroffen! Nur einer kann da jetzt noch helfen: Der Elektriker! Seine Aufgabe ist es verschiedene Gebäude wieder so zu verkabeln, dass alle Etagen mit Strom versorgt sind. Mit gedrückter B-Taste verlegt ihr die Leitungen und schliesst sie dann teils über oder unter euch an, damit die Wohnungen wieder in hellem Licht erstrahlen. Allerdings gilt es bei der Ausführung des Berufs vorsichtig zu sein. Neben dem Sturz in die Tiefe drohen auch von allerlei Tieren wie Würmern, Spinnen oder Ratten Gefahr. Auch hier helfen die Kabel weiter. Sobald der Strom wieder fliesst, werden die fiesen Kreaturen bei einer Berührung von einem Stromschlag zerbrutzelt. Aber auch Plünderer wollten die Gunst der Stunde nutzen und die energielosen Haushalte ausräumen. Mit einem beherzten Sprung auf den Schurken haltet ihr in auf und sammelt so weitere Punkte oder gar Extraleben. Habt ihr ein Gebäude wieder komplett verkabelt, gilt es einen Weg durch die Kanalisation zum nächsten Gebäude zu finden, das ebenfalls auf den Elektriker wartet. Insgesamt 3 auswählbare Geschwindigkeiten beeinflussen den Schwierigkeitsgrad. Eher ungewollt macht dies auch die hakelige Steuerung gepaart mit der grausigen Kollisionsabfrage, die euch schon mal ungewollt in den Abgrund fallen lässt, was dann aber wiederum in einer seltsamen Animation inklusive Verwandlung in Sperma endet. Immerhin ist das exklusiv für das Famicom Disk System erschienene Spiel grösstenteils in Englisch gehalten, was die Sprachhürde ein wenig lockert.

Fazit:
Witzige Spielidee, die solide umgesetzt wurde, aber spielerisch dank einiger Unsauberkeiten nicht durchwegs überzeugen kann.


Karaoke Studio (カラオケスタジオ)

Entwickler: TOSE
Publisher: Bandai
Release: 30. Juli 1987

Karaoke ist in Japan bekanntlich ein populärer Zeitvertreib, dies schon lange bevor die Begeisterungswelle in den Westen geschwappt ist. Da liegt es natürlich nahe, die Singerei auch für das Famicom umzusetzen. Bloss wie? Nun, Bandai nahm sich dem Thema an und entwickelte mit TOSE eine Hardwareerweiterung, die in den Modulschacht eingesteckt wurde. Daran angebracht war ein Mikrofon, welches die Stimme erfasste. Das Spiel erkannte diese und bewertete, je nachdem wie genau der Sänger die Töne traf, die Darbietung. Die Songlist umfasste zahlreiches bekanntes Liedesgut, welches in das 8-Bit-Format übertragen wurde. Während das Stück lief, wurde unten der Text in japanischen Schriftzeichen angezeigt, während oben eine animierte Szene das Lied begleitete. Neben verschiedenen J-POP-Songs waren auch bei uns bekannte Lieder wie Jingle Bells oder 10 Little Indians Bestandteil des Spiels. Und wem die 15 enthaltenen Lieder nicht genug waren, der konnte eine der zwei Erweiterungen Karaoke Studio Senyou Cassette Vol. 1 (カラオケスタジオ 専用カセット20 VOL.1, veröffentlicht am 28.10.1987) und Karaoke Studio Top Hit 20 Vol. 2 (カラオケスタジオ トップヒット20 VOL. 2, veröffentlicht am 19.02.1988) erwerben, die das Repertoire um nochmals je 20 neue Songs erweiterten.

Auch wenn der Gedanke an einen Karaoke-Titel auf Nintendos 8-Bit-Konsole auf ordentlich Spielspass hoffen lässt, für Leute, die des Japanischen nicht mächtig sind, taugt das Spiel leider schlichtweg nichts. Durch die Menüs kann man sich noch durchkämpfen, aber spätestens wenn die Lieder starten, ist man aufgeschmissen. Somit bleibt es vor allem ein verblüffendes Stück Technik, das es tatsächlich fertig brachte, den alten Brotkasten in eine Karaoke-Maschine verwandelt.

Fazit:
Überraschend gut funktionierende Karaoke-Maschine für das Famicom mit (soweit beurteilbar) party- und kindertauglicher Songauswahl, die aber für Nicht-Japaner praktisch unspielbar bleibt.


Nuts & Milk (ナッツ&ミルク)

Entwickler: Hudson Soft
Publisher: Hudson Soft
Release: 28. Juli 1984

Hudsons putziges Spielchen Nuts & Milk wurde nach diversen Heimcomputer-Umsetzungen auch für das Famicom veröffentlicht und schaffte damit historisches: Es war das erste Spiel eines Drittherstellers, das auf einer Nintendo-Konsole veröffentlicht wurde. Inhaltlich geht es um den rosa Blob namens Milk, der auf der Suche nach seiner Verlobten Yogurt ist. Allerdings hat auch der blaue Blob Nuts Interesse an der feinen Dame und kommt euch bei eurem Vorhaben stets in die Quere. Euer Ziel ist jeweils in den bildschirmgrossen Levels alle Früchte einzusammeln, damit Yogurt die Tür öffnet und Milk in die Arme schliessen kann. Um an die Vitaminbomben zu gelangen, gilt es gezielt durch die Stages zu hüpfen und zu klettern und dabei Nuts möglichst aus dem Weg zu gehen. Umso schneller ihr eure Aufgabe erledigt, desto mehr Punkte gibt es. Speziell: Mit einem Druck auf Select könnt ihr den aktuellen Level auch gleich überspringen und den nächsten starten. Und wem die 50 Stages nicht genug sind, der kann im vorhandenen Editor seine eigenen Herausforderungen zusammenzimmern. Nuts & Milk ist ein putziges Spiel der frühesten Famicom-Generation, das mit seinem simplem Spielprinzip durchaus unterhalten kann.

Fazit:
Putziger Plattformer im typischen Stil der ersten 8-Bit-Generation, der sich spielerisch zwar unspektakulär aber dennoch unterhaltsam zeigt und mit einigen netten Features gefällt.